SKH "Artur Becker" in Sigrön - Regularien

Die Regularien im SKH Artur Becker“ in Sigrön

im Schuljahr 1976/77 (Klasse/Gruppe 4a) und im Schuljahr 1977/78 (Klasse/Gruppe 5a)




die Kleidung:


Ein jeder Junge bekam zu Beginn des Schuljahres seine Nummer, die sich fortan in allen Wäschestücken des Betreffenden wiederfand. Ich hatte in der Gruppe 4a (Schuljahr 1976/77) die blaue 8, und in der Gruppe 5a (Schuljahr 1977/78) die rote 24. Jede Gruppe hatte seine Farbe; Gelb, Grün, Blau und eben Rot.


Im Wäschehaus, es befand sich am Weg der zum Pool führte, befand sich die Wäschekammer, die Nähstube und die Waschküche. Zwei Frauen waren dafür zuständig, dass die Kleidung gewaschen, gebügelt und zusammengelegt in ein Fach des großen Wandregales in der Wäschekammer mit der entsprechenden Nummer kam.


Einmal in der Woche (am Sonntagabend) war der sogenannte Wäschetausch. Es gab zu dem täglichen Wäschetausch noch zwei zusätzliche Arten des Wäschetausches.


täglicher Wäschetausch:

Schlüpfer, Socken, Unterhemd


wöchentlicher Wäschetausch:

Schlüpfer, Socken, Unterhemd, Schulhemd, Schulhose, Alltagshemd, Alltagshose, 2 Handtücher, 2 Waschlappen, 3 Taschentücher, Schlafanzug


monatlicher Wäschetausch:

Schlüpfer, Socken, Unterhemd, Schulhemd, Schulhose, Alltagshemd, Alltagshose, 2 Handtücher, 2 Waschlappen, 3 Taschentücher, Schlafanzug, Jacke, Turnhose, Turnhemd, Trainingsanzug, Bettwäsche, (das Turnzeug brachte der Wäschedienst am jeweiligen Vortag im Wäschebeutel von der Schule mit)


Unsere Waschfrauen hatten für jede Gruppe riesige Wäschekörbe mit gewaschener Kleidung fertig gemacht. Jeden Sonntagabend war nach der Abendhygiene der Wäschetausch. Ein Jeder brachte seine getragene Wäsche zum Wäschedienst. Der stand auf dem Flur und nahm die Wäsche entgegen. Er überprüfte die Vollzähligkeit, und die Form der Abgabe, denn:


- Die Kleidung musste vollständig zugeknöpft und auf links gekrempelt sein;

- die Bettwäsche musste ebenfalls auf links, und zusätzlich die Ecken, fusselfrei sein;

- Taschentücher, Waschlappen und Handtücher wurden einfach so abgegeben und

- es durften keine Knöpfe fehlen, keine Nähte aufgerissen und Löcher vorhanden sein.


Dann bekamen wir unsere neue Wäsche. Für eine kurze Zeit standen wir wieder splitterfasernakt auf dem Flur; wir tauschten ja alles um.


Die Schuhe, die aktuell getragen wurden, waren im Keller untergebracht. Im extra für Handtücher und Schuhe eingerichteten Raum, standen diese im Wechsel mit den Hauslatschen auf Schuhpodesten. Die Schuhe wurden täglich geputzt. Die Schuhe wurden nur viermal im Jahr getauscht. Halbschuhe im Frühling, Sandalen im Sommer, im Herbst wieder Halbschuhe und hohe Schuhe im Winter. Wenn ein Paar Schuhe oder Hauslatschen kaputt gingen, wurden die zwischendurch gegen heile getauscht. Die kaputten Schuhe wurden dann gesammelt und vom Hausmeister zum Schuster nach Bad Wilsnack gebracht. Die kaputten Hauslatschen wanderten in die Mülltonne.


Auf dem Boden, auf der Seite des Turmes, befanden sich Mansarden. Eine davon war die Schuhkammer. Dort befanden sich die Schuhe, die aktuell nicht vergeben wurden, und jede Menge Hauslatschen. Beim Schuhtausch durfte sich ein Jeder ein ihm passendes Paar aussuchen und die alten (natürlich geputzt und mit den Schnürsenkeln zusammengebunden) abgeben. Diese abgegebenen Schuhe wurden beim nächsten Schuhtausch an andere Jungs ausgegeben.


Die Kleidung und die Schuhe waren immer in einem heilen Zustand. Unsere Wäschefrauen sorgten dafür. Bei der Alltagskleidung waren die Hosen an den Knien oftmals geflickt, die Strümpfe gestopft und die Hemden am aufgeriebenen Hemdkragen und an den aufgeriebenen Manschetten irgendwie wieder repariert. Bettwäsche war schon hunderte Male zusammengenäht. Aber sie war sauber und heil. Modisch war die Wäsche jedoch nicht. Wir trugen Dederonhemden und Dederonhosen (heute würde man Nylonhemd und Nylonhose dazu sagen). Alles irgendwie bunt durcheinander; farblich überhaupt nicht passend. Man sah schon an der Kleidung, dass wir Heimkinder waren. Aber es war uns anscheinend egal, wir sahen ja alle gleich aus, wie die Papageien. Und das Heimgelände durften wir sowieso nicht verlassen.


In dem Schlafraum, in dem ich untergebracht war, standen zwei zweitürige Kleiderschränke mit Aufsätzen. In den Aufsätzen waren die gerade nicht benutzten Wechseltischdecken des Gruppenraumes und die gerade nicht benutzten Wechselgardienen untergebracht. Die Gardienen wurden dann vom Schlafraumdienst und vom Gruppenraumdienst monatlich und die Tischdecken vom Gruppenraumdienst wöchentlich am Sonnabend beim Revierdienst gewechselt. Außerdem befand sich noch ein großer Nähkasten und einmal komplette Bettwäsche darin. Die Bettwäsche wurde gebraucht, dass das Bett im Krankenzimmer bezogen werden konnte, sollte es mal gebraucht werden.


Auch der Nähkasten hatte seinen guten Zweck. Wenn Jemandem tagsüber ein Knopf verloren ging, eine Naht aufging oder ein Loch in der Hose gescheuert wurde, dann nähten bzw. stopften wir es wieder. Nur allzu abgenutzte Wäsche wurde nicht mehr von uns geflickt. Unsere zwei Wäschefrauen hatten dann über das Schicksal dieses Wäschestück entschieden. Sie hätten es wohl zeitlich nie geschafft, Kleinigkeiten von uns allen mit zu erledigen. Sie hatten rund 65 Jungs mit Wäsche zu versorge. Dazu kamen noch die Bettwäsche, die Gardienen, die Tischwäsche und der Gleichen mehr. Waschen, Trocknen, Sortieren, Bügeln, Bereitstellen. Das mindeste was wir Jungs für sie taten, war das Knöpfe annähen. Auch brauchten sie sich um ausgeleierte Gummis in der Turnhose, der Trainingshose oder der Unterhose nicht kümmern. Abgerissene Handtuchhalter wurden ebenfalls von uns wieder angenäht. Wir hatten auch jeden vierten Samstag, alle vier Unterrichtsstunde, eine sogenannte Flickstunde im Stundenplan. Dort erlernten wir das Stopfen, das Nähen und das Nähte reparieren.


Im unteren Teil des Kleiderschrankes waren unsere Sonntagssachen untergebracht. Wer jetzt glaubt, dass wir diese am Sonntag anzogen, irrt sich gewaltig. Diese wurden nur zu besonderen Anlässen getragen. Beispielsweise: wenn wir einen Ausflug nach Bad Wilsnack machten, wenn Besuchstag der Eltern war, wenn hoher Besuch vom Rat des Kreises oder gar vom Rat des Bezirkes kam (sogar mit Pionierhemd) oder wenn wir in den Urlaub nach Hause fuhren.


Wir waren zwar nur sieben Jungs in diesem Schlafraum, aber vier Doppelstockbetten waren aufgestellt. Das bedeutete für uns, dass sich zwei Jungs den Platz des Kleiderschrankes hinter einer Tür teilen mussten. Faktisch: ein Doppelstockbett - eine Tür. Das war auch kein Problem, an diesen Schrank mussten wir nur selten. Den Fußraum der Schränke konnten wir zur Unterbringung privater Gegenstände nutzen, wenn diese nicht in den Nachtschrank passten. (jeder hatte ja seinen eigenen Nachtschrank).


Die Sonntagskleidung bestand aus einem Anorak, einem nicht allzu dicken Pullover, einem Oberhemd, einer Cordhose und eines Pionierhemdes. Diese Sachen hingen fein säuberlich auf Bügeln im Schrank. Das war wohl die einzige, nicht auf Kante zusammengelegte, Wäsche. Sogar die Gardienen, die Tischdecken und die Ersatzbettwäsche waren akkurat auf Kante zusammengefaltet.




das Taschengeld:


Hierfür gab es eine gesetzliche Grundlage, die bestimmte, in welchem Alter man wieviel Taschengeld bekam. Auch die Höhe war festgelegt. Ich kenne sie nicht genau und habe das Taschengeld auch nie in bar bei mir gehabt.


Die Auszahlung, ... nein die Buchung in einem Heft das irgendwo beim Heimleiter rumlag, erfolgte monatlich. Es war nicht viel. Es waren wohl 2,50 Mark (offizielle Währungsbezeichnung: Mark der Deutschen Demokratischen Republik) je Monat vom Jugendamt. Meine Eltern zahlten auch noch 20,00 Mark je Monat mit ein. Ich hatte nie den rechten Überblick über meinen Taschengeldkontostand. Drei Mal im Jahr gingen wir nach Bad Wilsnack zum Einkaufsbummel und gaben es dort aus.


Einer in unserer Gruppe war schon ein armes Würstchen. Er hatte ein unvorstellbares zerrüttetes Elternhaus. Er war ein Einzelkind und wie er mir mal so unter Jungs anvertraute, saß sein Vater im Knast wegen „Besoffen Autofahren und Unfall bauen mit Tötung eines Passanten“ und seine Mutter hat er nicht ein Mal im nüchternen Zustand gesehen. Kein Wunder, dass er so rüpelhaft wurde und ins Heim kam.


Alle beide Elternteile kümmerten sich nicht um ihn. Er bekam keine Post, nicht mal zum Geburtstag. Das Weihnachtsfest und die Sommerferien verbrachte er im Heim. Er konnte nie stolz eine Urkunde, die er im Sport erkämpft hatte, seinen Eltern präsentieren. Sein Mutterersatz waren die Erzieherinnen, sein Vaterersatz die Lehrer und sein Bruder, das war ich. Aber die Erzieher und die Lehrer konnten ihm nicht all die elterliche Liebe geben, die er gebraucht hätte.


Sein Taschengeld war so hoch, wie das Jugendamt ihm gab. 2,50 Mark im Monat. Wenn wir unseren Einkaufsbummel in Bad Wilsnack machten, war sein Taschengeld nach einem Eis und dem Briefmarkenladen schon verbraucht. Er kaufte sich eine große Briefmarkenwundertüte, die kostete schon 9,50 Mark. Er sammelte Briefmarken. Mit anderen Jungs tauschte er sie dann.


Ich versuchte, ihm ein paar Wünsche zu erfüllen. Er wollte immer, wie die anderen schon hatten, ein kleines Kuscheltier haben. Er hatte noch nie eins. Eine Zeitlang gab ich ihm meinen kleinen blauen Teddybär, den ich Strelie nannte. Der Junge war schon zwölf Jahre alt und viele von uns hatten ihre Kuscheltiere schon in den Nachtschrank verbannt.


Wenn wir zum Einkaufsbummel gingen, legte er seine 10,00 Mark und ich meine 90,00 Mark zusammen und teilten sie wieder, brüderlich durch Zwei. So hatte jeder 50,00 Mark zum Ausgeben. Die Erzieher sahen das nicht gerne, dass Jemand Geld an andere Jungs verteilte. Sie unterbanden es sogar. Sie hatten die Befürchtung, dass Dienste oder Gefälligkeiten damit erkauft werden könnten. Sie kontrollierten die Einkäufe und stellten anhand der Preise damit fest, ob jeder sein Taschengeld auch nur für sich ausgegeben hat.


Ich fragte den Erzieher nicht um Erlaubnis. Ich teilte einfach mein Taschengeld mit diesem Jungen. Bei der Kontrolle fiel das natürlich auf. Nach einer ellenlange Debatte und einer Aussprache mit dem Heimleiter legte die Heimleitung fest, dass die Erzieher bei mir gefälligst wegzuschauen hatten. Jeder Erzieher sah das aber nicht ein.


Der Heimleiter, der auch das Taschengeld verwaltete, fand aber eine List. Er hörte sich vorher von meinen Eltern an, was sie zu dem Teilen des Taschengeldes sagten. Meine Eltern sagten: „Es ist Uwe’s Geld, was er damit macht, ist seine alleinige Sache“. So wurde mein und sein Taschengeld, schon bei der Auszahlung vom Heimleiter geteilt. Der Erzieher, der gegen die Teilung des Taschengeldes war, wurde somit ausgetrickst.


Eines Tages, beim Einkaufsbummel, kam er mir freudestrahlend entgegen, mit dem kleinen Maulwurf (aus der tschechischen Trickfilmserie „Der kleine Maulwurf“) als Kuscheltier in der Hand. „Der heißt nicht Krteček“, sagte er, „Er heißt Jahny, danke Brüderchen“. Das war das einzige Mal, dass er mich Brüderchen nannte. (Krteček wird keretschek ausgesprochen, ist Tschechisch und heißt auf Deutsch: Maulwürfchen. Der Trickfilm aus der ČSSR heißt im Original ebenfalls „Krteček“ und in der deutschen Benennung heißt der Trickfilm „Der kleine Maulwurf“. Jahny ist mein Spitzname, schon immer gewesen, der sich aus meinem Nachnamen ableitete.)




die Post:


Einmal im Monat gab‘s die Briefstunde. Das heißt, wir schrieben Briefe nach Hause. Jeder geschriebene Brief wurde vom Erzieher Korrekturgelesen. Dabei ging es den Erziehern nicht um die Rechtschreibung und um die Grammatik, sondern um den Inhalt. Natürlich, offiziell war es die Rechtschreibung und die Grammatik, er korrigierte auch Fehler und ließ uns den Brief noch einmal fehlerfrei abschreiben.


Zu Feiertage, wie der 1. und der 8. Mai, zum Frauentag und zu irgendwelchen anderen sozialistischen Feiertagen, steckten wir selbstgebastelte Grußkarten mit rein. Zu Geburtstagen meiner Eltern und meiner Geschwister (ich habe noch zwei Brüder und eine Schwester) sowie meiner Großeltern steckte ich ebenfalls eine selbstgebastelte Grußkarte mit rein. Ich weiß nicht, ob die anderen Jungs das auch machten, ich machte es jedenfalls. Da wir nur an die Eltern Briefe schreiben durften, verteilte sie meine Mutter an die Verwandtschaft. Die Erzieher haben das geduldet.


Auf der Rückseite des Umschlages schrieb ich immer den Absender:

Uwe Jahn…..

2901 Sigrön

Dorfstraße 21


Viele taten das nicht und bekamen den Heimstempel drauf. Die Postfrau musste ja nicht unbedingt wissen, dass der Brief aus einem Spezialkinderheim kam. Meine offizielle Anschrift war eigentlich:

Spezialkinderheim „Artur Becker“

Uwe Jahn….. / Gruppe 4a (respektive 5a)

2901 Sigrön / Kreis Perleberg

Dorfstraße 21


Die Post, die aus dem Elternhaus kam, wurde vorher geöffnet und Zensurgelesen. Ebenfalls wurden die Päckchen geöffnet und kontrolliert. Einige Dinge durften nicht geschickt werden. Beispielsweise verderbliche Ware, wie Obst oder Ähnliches. Süßigkeiten konnte in Hülle und Fülle geschickt werden. Die wurden auch mit den anderen Jungs geteilt. So gut wie keiner konnte es übers Herz bringen, die anderen Jungs mit tropfendem Zahn dastehen zu lassen.


Meine Familie (Geschwister, Eltern und Großeltern) sandten meinem Brüderchen zu seinem Geburtstag ein kleines Päckchen. Dort war ein Kuchen (Marmorkuchen), die vielen Grußkarten, ein Buch und jede Menge Süßigkeiten drin. Eigentlich war es nicht gestattet, Päckchen an andere Heimkinder zu schicken. Sie durften nur aus dem Elternhaus kommen. Aber seine Eltern kümmerten sich ja nicht um ihn.


Später erfuhr ich, dass ein riesiger Aufstand zwischen den Lehrern, den Erziehern und dem Jugendamt im Gange war. Das Jugendamt stellte sich völlig quer, einige Erzieher ebenfalls. Nur einige andere Erzieher, alle Lehrer und sogar der Heimleiter stellten sich dem Jugendamt entgegen.


Das Jugendamt blieb bei seiner Entscheidung. Aber das Heim fand eine Lösung um diese Entscheidung zu umgehen. Meine Mutter schrieb meine Adresse rauf. Unter dem Packpapier war dann ein Schildchen auf dem geschrieben stand: „Für dich, lieber [Name]! Viel Spaß beim Auspacken.“ Der Heimleiter und seine Sekretärin kontrollierten das Päckchen ohnehin und gaben es dann gleich meinem Brüderchen.




Urlaub:


Urlaub war der zeitweilige Verbleib im Elternhaus. Ihn gab’s auch nur in den Ferien. Ganz wichtig: das Elternhaus musste auch daran interessiert sein und nach den Vorstellungen des Jugendamtes intakt sein. Bei einigen war das Elternhaus eben nicht intakt. Sogenannte Arbeitsbummelanten, Säufer und politisch wankende Eltern hatten ihren Sohn nur ein Mal im Jahr, für eine Woche, oder gar nicht zu Hause.


In den Herbstferien (die letzten zwei Wochen im Oktober), in den Weihnachtsferien (eine paar Tage vor Heiligabend bis zum 02. Januar), in den Winterferien (den ganzen Februar), den Osterferien (zwei Wochen die Ostern umschlossen) und in den Sommerferien (den Monat Juli und August) war Urlaub zu Hause möglich.


Den Urlaub musste man sich „verdienen“. Die schulischen Leistungen mussten mindestens auf Note 3 stehen. Die Länge des Urlaubes hing auch vom Verhalten, gegenüber den Lehrern und den Erziehern, ab. Je besser das Verhalten und die Schulnoten, je länger war der Urlaub.


Nach dieser Regel hätte ich in allen Ferien in voller Länge nach Hause gedurft. Sie ließen mich aber nicht. Das Jugendamt (offiziell hieß es: Rat des Kreises, Abteilung Volksbildung, Referat Jugendhilfe) hatte da das letzte Wort. Ihre hirnrissige Begründung:


Zitat Anfang:

(das Zitat wurde mit der ab dem Jahr 2010 geltenden orthographischen Regeln der deutschen Sprache [Rechtschreibreform] niedergeschrieben)

... Bei einem zeitweiligen Verbleib des Minderjährigen Uwe Jahn….. im Elternhaus, nach den im SKH „Artur Becker“ erstellten Regeln, sehen wir eine Gefährdung der Erziehung zu einer allgemein gebildeten sozialistischen Persönlichkeit. Eine Beurlaubung stellt nach der Auffassung des „Referat Jugendhilfe I“ immer einen Rückschlag in der bisher erreichten Erziehung dar. Wir sind der Auffassung, dass eine Beurlaubung in das Elternhaus auf zwei Wochen im Jahr begrenzt bleiben muss. Dieses wurde der Heimleitung mit dem „Einlieferungsbeschluss (Nr. 7/1976) zur Sicherung der Erziehung und Entwicklung des Minderjährigen Uwe Jahn….. mitgeteilt. Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses gez. Haack

Zitat Ende.


Gott sei's gedankt, ich bin dieser Frau Haack nie begegnet. Ich hätte wahrscheinlich vor ihr ausgespuckt oder sie sogar angespuckt. Mein Hass auf sie war riesen groß. Diese Entscheidung, die ja im Fachjargon immer Beschluss hieß, hatte ich nie verstanden.


Der Heimleiter schickte mich jedoch die ganzen Weihnachtsferien (2 Wochen) die halben Osterferien (1 Woche) und drei Wochen der Sommerferien nach Hause. In den Büchern war es jedenfalls, so wie es das Referat I der Jugendhilfe haben wollte, registriert. Später erfuhr ich, dass der Heimleiter deshalb noch Ärger bekam.




Freizeit:


Freizeit ist ein Begriff, der nicht als freie Zeit gebraucht wurde. Man hatte keine freie Zeit. Wer freie Zeit hatte (im Sinne von Nichts zu tun), bekam eine Aufgabe. Freie Zeit bürgte das Risiko, Dummheiten zu machen (aus der Sicht des Pädagogen), was ja nicht erwünscht war. Jungs aus anderen Gruppen zu treffen, war nicht möglich. Mit den Jungs einer anderen Gruppe kamen wir nur in Kontakt, sollte eine gemeinsame Beschäftigung ausgeführt werden (Fußballturnier, Einkaufsbummel, Waldwanderung, AG Junger Pioniere, Baden im heimeigenem Pool).


Ein gut ausgebautes Netz der „AG Junger Pioniere“ und der tägliche Tagesablauf sorgten im Heim dafür, dass die Freizeit sinnvoll verbracht werden konnte. Die Freizeitgestaltung im Heim wurde von den Pädagogen gelenkt und stand unter ständiger Beobachtung.




Dienste:


Jede Gruppe hatte vorbestimmte Dienste zu erledigen. Eine gute Sache für die Selbständigkeit eines jeden Einzelnen. Im Schuljahr 1976/77 war es wie folgt aufgeteilt:


Gruppe 4:

- 1 Person für Kellertreppe und Kellergang

- 1 Person Schuhputzzeugkammer

- 1 Person Handtücher- und Straßenschuheraum

- 2 Personen Duschraum

- 2 Personen Treppenhaus (von der unteren zur oberen Etage)

- 1 Person Tagesraum (Tagesraum der Gruppe 4)

- 2 Personen Schlafraum (Schlafsaal Gruppe 4)

- 1 Person Gruppenführer vom Dienst (GvD)

- 1 Person Blumendienst

- 1 Person Klassenraumdienst

- 1 Person Wäschedienst

- 2 Personen Tischdienst


Gruppe 5a:

- 2 Personen Toilettenanlage im Keller

- 2 Personen Waschraum II

- 1 Person Treppenhaus (von der oberen Etage zum Dachgeschoss)

- 1 Person WC (oberes Podest, für die Jungs des Dachgeschosses)

- 1 Person Flur (Dachetage)

- 1 Person Schlafraum (kleiner Schlafraum der Gruppe 5a)

- 1 Person Schlafraum (großer Schlafraum der Gruppe 5a)

- 1 Person Gruppenführer vom Dienst (GvD)

- 1 Person Tagesraum (Tagesraum der Gruppe 5a)

- 1 Person Blumendienst

- 1 Person Klassenraumdien

- 1 Person Wäschedienst
- 2 Personen Tischdienst


Gruppe 5b:

- 2 Personen Waschraum I

- 3 Personen Speisesaal (beide)

- 1 Person WC (mittleres Podest, für die Jungs des oberen Stockwerks)

- 1 Person Schlafraum (kleiner Schlafraum Gruppe 5b)

- 1 Person Schlafraum (großer Schlafraum der Gruppe 5b)

- 1 Person Tagesraum (Tagesraum Gruppe 5b mit Spielzeugkammer)

- 1 Person Flur (obere Etage)

- 1 Person Gruppenführer vom Dienst (GvD)

- 1 Person Blumendienst

- 1 Person Klassenraumdienst
- 1 Person Wäschedienst

- 2 Personen Tischdienst


Gruppe 6:

- 1 Person Hofdienst

- 1 Person Flur (untere Etage, vom Seiteneingang bis zur Treppe)

- 1 Person WC (unteres Treppenpodest, für Pädagogen und Personal)

- 1 Person Kulturraum

- 1 Person Eingangshalle

- 1 Person Bibliothek (mit abwärts führender Treppe zur Eingangshalle)

- 1 Person Schlafraum (kleiner Schlafraum der Gruppe 6)

- 1 Person Schlafraum (großer Schlafraum der Gruppe 6)

- 1 Person Krankenzimmer

- 1 Person Tagesraum (Tagesraum Gruppe 6 mit Spielzeugkammer)

- 1 Person Gruppenführer vom Dienst (GvD)

- 1 Person Blumendienst

- 1 Person Klassenraumdienst

- 1 Person Wäschedienst

- 2 Personen Tischdienst


der Hausmeister:

- Kellerraum (mit Hinterausgang)

- Kellerraum (Gartengeräte)

- Hausmeisterwerkstatt


der Heizer:

- Kohlenkeller und Heizung


Reinigungsfachkraft:

- Sekretariat der Heimleitung

- Büro des Heimleiters

- Ärztezimmer und Nachtwache


Küchenpersonal:

- zwei Küchenräume mit Speisekammer


Wie unschwer zu erkennen ist, haben wir selbst das Heim in Schuss gehalten. Die eine Reinigungskraft hat nur die Räume der Heimverwaltung gereinigt, zu denen wir keinen Zutritt erhalten sollten. Der Hausmeister, der Heizer und auch das Küchenpersonal haben ihre Reviere selbst in Ordnung gebracht.


Für diese Dienste gab es einen Wochenplan. Der wurde jeden Samstag bei der Tagesauswertung für die Nächste Woche gemeinschaftlich in der Gruppe festgelegt. Der galt vom Sonntag bis zum darauffolgenden Samstag. Überwacht und kontrolliert wurden die Aufgaben vom Erzieher und/oder vom GvD. Unbeliebt waren Toiletten und Waschräume putzen. Gern ausgeführt, weil schnell erledigt, waren Dienste wie Blumendienst oder Tischdienst.




private Gegenstände:


Jeder von uns besaß ein Eigentumsfach. Das war nichts anderes, als zwei Fächer im Nachtschrank. Ein Jeder von uns hatte ja seinen eigenen Nachtschrank. Der war auch ungewöhnlich breit. Oben befand sich ein Schubfach und darunter befand sich ein Fach mit einem Einlagebrett, sodass zwei Fächer entstanden; davor eine Tür. Im oberen Fach war die Ordnung genau vorgeschrieben. Rechte Seite das gebaute Päckchen und links daneben die Waschtasche. Im unteren Fach und im Schubfach konnte der eigene Geschmack bei der Einrichtung voll zur Entfaltung kommen. Auch diese Fächer wurden vom Erzieher kontrolliert. Es musste eine gewisse Ordnung darin herrschen. War das Fach zu klein, konnte man im Kleiderschrank für die Sonntagssachen größere Dinge auf dem Boden seines Schrankbereiches ablegen.


Ich hatte nicht viel privates Zeug. Es war nur das Briefpapier, Schreibzeug, einige technische Bücher, ein Rommé- Kartenspiel und ein Briefmarkenalbum. Ach ja … meinen kleinen blauen Teddybär hatte ich auch noch. Der lag aber Tag und Nacht im Bett.


Andere private Gegenstände trug ich täglich bei mir. Es war eine Armbanduhr am rechten Handgelenk und einen Freundschaftsring aus Aluminium am linken Zeigefinger. Den zweiten dazugehörigen Ring trug mein Brüderchen. Viele von meinen Kameraden sahen uns als "Liebespäärchen". Dabei waren wir doch nur Freunde, einfach so, nur Freunde. Nicht jeder kannte das Schicksal meines Brüderchens. Nicht jeder wusste, dass er allein war; nicht jeder wusste, dass seine Eltern sich nicht um ihn kümmerten; nicht jeder wusste, dass er unglücklich war.


TEXT ENDE


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