Entschuldigungsbrief

  • Liebe ehem. Erzieherinnen im Heim und Lehrerinnen an Schulen,


    ich möchte mich hiermit dafür entschuldigen, ihnen nicht geglaubt zu haben, was sie uns beigebracht haben.


    Sie haben uns beigebracht, dass der Klassenfeind Westdeutschland war, einem Land, in dem Alt Nazis noch lebten und indirekt an Regierungen in versch. Ämtern beteiligt waren, mich entschuldigen dafür, nicht geglaubt zu haben, wer Freund, wer Feind war.


    Sie haben mir/uns beigebracht und davon erzählt, dass Amerika die Sowjetunion bedrohen würde, wer Klassenfeind sei.


    Ich entschuldige mich öffentlich dafür, ihnen nicht geglaubt zu haben und dem teils auch widersprochen hatte. Ich hatte daran gezweifelt und nicht wahrhaben wollen, dass das, was sie mich/uns lehrten, womöglich richtig ist.


    In meiner Jugend - nachdem ich aus dem Heim entlassen wurde - wurde ich prowestlich beeinflusst, saugte alles auf, was mit 'frei sein' usw. zu tun hatte. Ich hasste die Mauer, weil auch ich in den Westen reisen wollte, aber nicht konnte, und muss nun sehen, wie notwendig Grenzen doch sein können, die unverletzt bleiben müssen. Denn es gibt kein Recht auf Grenzenlosigkeit, wie sich das manch andere heute vorstellen.


    Ich wollte nicht wahrhaben, dass es richtig ist, was sie uns ideolog. eintrichterten. In der Tat war nicht alles richtig.


    Heute, in Anbetracht einer ganzen Reihe von Angriffskriegen seitens des Westens gegen andere Länder in der Vergangenheit, die als 'Achse des Bösen' bezeichnet wurden, sehen die Dinge anders aus.


    Sie erzählten uns einst davon, dass der Krieg der USA in Vietnam barbarisch wäre, was er auch war, - keine Lüge- und Amerika alles dafür tun werde, die Welt nicht in Ruhe zu lassen, bis die ganze Welt frei wäre.


    Mich dünkt, dass wir aktuell gerade etwas Ähnliches erleben, was mit der Schaffung einer Neuen Weltordnung, von der schon länger die Rede ist, umschrieben werden muss.


    Als Kind war ich fast immun gegenüber dem, was sie uns einbleuten. Heute erlebe ich mich darinnen, zu sehen, dass sich so Einiges, was sie uns einimpften, nicht ganz verkehrt gewesen sein kann.


    Nur Eines scheint heute richtig zu sein - auf der Seite derer zu sein, die meinen, die Freiheit im Westen mit Waffen verteidigen zu müssen. Im Osten erzählten sie uns exakt das Gleiche. Dort hieß es. Der Feind im Westen ist bis an die Zähne hochgerüstet und wir, in den Staaten des Warschauer Paktes, müssen uns gegen ihn wappnen, um uns im Falle eines Krieges verteidigen zu können.


    In den 80iger Jahren standen wir fast an der gleichen Stelle der Gefahr vor der Vernichtung, weswegen sich dann auch zurecht Abrüstungsbestrebungen Bahn brachen. "Ein bischen Frieden", "Wozu sind Kriege da"


    Ich bedauere, in den Genuss des Heimkinderfonds Entschädigung Ost gekommen zu sein, die zwar pauschal ausgezahlt wurde für alle, die in Heimen waren, aber vielleicht war ich auch zurecht dort. Ich hab's ja oft geschrieben, dass ich den Heimaufenthalt als Bestrafung realisiert habe.


    Im Wesentlichen war also nicht falsch, was sie uns erzählten. Wer heute Freund oder Feind ist, das kann auch jeder erkennen, wenn er aus der Geschichte Vergleiche ziehen kann. Nur dauert alles seine Zeit bis man erkennt, was falsch oder richtig war/ist.


    Die Spaltung jedenfalls ist überall in der ganzen Gesellschaft zu erleben. Die Grundvoraussetzung dafür, eine neue Welt zu schaffen, egal wie hoch der Preis ist.


    In diesem Sinne, was sie mich einst lehrten, es war doch nicht alles falsch. Ich war nur nicht bereit, zu glauben, dass das, was sie vermitteln wollten, richtig sein könnte. Auch heute ist das so. Es gibt schon wieder überall diese erhobenen moralischen triggernden Zeigefinger und da werde und bleibe ich auch die restliche Zeit meines Lebens allergisch.


    "Teacher, leave your Kids alone...".... "We don't need your education" - Pink Floyd, versteht man das denn nicht?


    Beste Grüße

    Leser und Schreiber

    Es ist nicht das Ziel des Lebens, auf Seiten der Mehrheit zu stehen, sondern man muss versuchen, nicht im großen Heer der Verrückten zu landen. Mark Aurel

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  • Anmerken möchte ich auch das: was bitte konnten Sie dafür, dass wir Kinder damals in Ihre Einrichtungen gekommen sind? Bei mir war das so, dass ich nur im äußersten Notfall dort hineinkommren hätte sollen, denn Unterlagen vor dem Heim gaben es nicht her. Ich wurde aufgrund von Erziehungsproblemen daheim eingewiesen. Die Ursachen sind bekannt und x Mal beschrieben. Für meine/unsere Probleme konnten Sie nichts, sondern Sie sollten mit uns aus oft schwierigen Verhältnissen klarkommen und uns umerziehen.


    Ein Freund von mir schrieb mir das vor Jahren. Da waren Jungs, die total schwererziehbar waren mit denen man nun klarkommen sollte, dabei wird aus heutiger Sicht deutlich, dass wir individuellerer Betreuung bedurft hätten. Die gab es aber nicht, denn das System sah vor, aus uns bessere Menschen im Kollektiv machen zu wollen. Dafür konnten sicher auch manche Erzieher nicht viel. Sie waren Teil des Systems, was nicht heißt, dass nicht manches auch besser gemacht hätte werden können. Es war gesellschaftlicher Konsens, dass man im Kollektiv erzogen wurde, wenn man nicht parierte, dann ging es ins Heim.


    Auch ich galt als schwererziehbar, und weil man glaubte, dass es so war, steckten sie mich auch in dieses Erziehungsheim, das wie eine kleine Kaserne mit einer Art Drill geführt wurde. Ganz früher hätte man noch gesagt!, wir brauchten Zucht und Ordnung. Zucht war nicht gut und alles in Ordnung war auch nicht. Dafür konnten die betroffenen Kinder nichts und Erzieher machten, was ihre Erziehungspläne vorsahen.


    Ich glaubte selbst daran, als 11 Jähriger und noch viele Jahre nach der Entlassung, dass ich zur Strafe im Heim war, wie also hätte ich es wagen können, vor zwei Jahren einen Rehabilitierunsantrag stellen zu können? Ganz schön frech.


    Doch wenn ich daran denke, dass die ehemal. Frau von Honecker Bildungsministerin war, und sie für die Installation von Jugendwerkhöfen - insbes. Torgau -verantwortlich war, dann weiß ich, dass ich ihr nicht verzeihen würde können.


    Bei den meisten Erziehern, die oft nur ihren job machten, vielleicht sogar mit Idealismus, ist das anders. Sie waren Kinder ihrer Zeit und konnten nichts dafür. Ich manchmal auch nicht, weswegen ich diesen elektron. Brief schrieb um mich bei den mich Erziehenden zu entschuldigen, obwohl ich vor 15 Jahren in einem ähnlichen Forum schrieb, dass ich mit einer Erzieherin noch ein Hühnchen zu rupfen gehabt hätte. Sie ist seit Jahrzehnten nicht mehr am Leben, hat wohl die polit. Wende 1989 nicht verkraftet. Bei ihr muss ich mich nicht entschuldigen und wieder einmal bin ich - wie mit anderem im Leben auch - zu spät dran.


    Grüße, Leser

    Es ist nicht das Ziel des Lebens, auf Seiten der Mehrheit zu stehen, sondern man muss versuchen, nicht im großen Heer der Verrückten zu landen. Mark Aurel

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  • Das Wetter ist heute eh bescheiden und daher musste ich mal wieder hier etwas hinzufügen, wenn es schon sonst niemand tut. :rolleyes:


    Aufgrund neuer hinzugekommener "Erkenntnisse" auch nur und die Fakten sprachen schon länger eine deutliche Sprache, denn wer solche Einrichtungen erlebte, wird manches wie auch Gewalt bestätigen können. Dennoch konnten durch Betroffene teils völlig unterschiedl. Erfahrungen auch in der Hinsicht gemacht werden. Es "traf" nicht jeden. D. h., obwohl Kinder gleichzeitig in Einrichtung X, Y, Gruppe Z waren, machten sie möglicherweise aus ihrer Perspektive betrachtet differentere Erfahrungen als ihresglichen, die mit ihnen dort waren. Ein Phänomen und trotzdem interessant zugleich, Beleg darüber, wie unterschiedlich Menschen Erlebnisse aufnehmen und diese verarbeiten können.


    Was mich lange drängte, war die Auflösung der Frage, wie es dazu hat kommen können, dass sich so viele ehemal. Heimkinder nicht wiederfinden/-fanden. Lag es vielleicht auch daran, dass Kinder unter ihreesgleichen nicht nur "nett" zueinander waren, sondern man sie sogar seitens des erziehenden Personals benutzte? :/


    In der Forschung wird von "Selbsterziehung" geschrieben, die Teil eines pädagogischen Konzeptes war, mit dem Ziel, aus ihnen "sozialistische Persönlichkeiten“ heranzubilden. Dazu gehörte Unterricht, der entsprechend angelegt war, der - s. o. - aus heutiger Sicht nicht nur Falsches zum Inhalt hatte. Dazu kann man stehen wie man will, denn wir haben alle unsere eigenen Perspektiven.


    Das DDR - Heimkinder Erziehungssystem basierte auf das Makarenko`sche Prinzip der Selbsterziehung, also Erziehung im Kollektiv, was bedeutete, dass Kinder Kindern helfen sollten, sich gegenseitig zu erziehen. Wie immer das geschah oder aussah. Es geschah meist zwar unter Aufsicht des Personals, das für sie verantwortlich war und trotzdem Erziehung teils auch abgab. Ich selbst erinnere mich an mind. zwei solcher bleibender Eindrücke, kann allerdings auch einiges vergessen haben.


    Ich wurde vor vielen jahren einmal gebeten, mehr über die Zeit damals zu berichten, weil das, was ich bereits schrieb, zwar als autentisch galt, nur hätte ich auch "dies" und "jenes" noch erwähnen sollen. Was bedeutete, dass ich mich entweder nicht erinnerte oder nicht habe wissen können, von was ich hätte noch schreiben sollen. Peter, ich habe eben doch nicht alles damals behalten, obwohl ich einfache Tagesnotizen anfertigte, die mir halfen, das Wenige nicht vergessen zu haben. :(


    Hier wurde gestern die Frage in den Raum geworfen, ob das Stockholm Syndrom bekannt wäre. Erst jetzt wurde mir klar, weshalb sie auftauchte, denn sie hat mit diesem Thread zu tun. Da bin ich mir sicher und muss trotzdem nichts von dem zurücknehmen, was hier bisher gepostet wurde.


    Diese Einrichtungen der DDR Erziehungshilfe - wie sie sich nannten - waren "nur" die Fortsetzung oder Alternative zu dem, von woher Kinder kamen. Das zeigte sich oft an dem, worüber in Heimkinderforen zu lesen war.


    Viele verbinden mit ihnen völlig unterschiedl. Erlebniswelten. Es gab die Einen, die diese Erziehungshilfen zurecht verurteilten, weil in ihnen teils sehr unfeines, inkompetentes Personal tätig war, jene die relativierten und wiederum andere, die sie als notwendig sahen, da sie sich für sie als Vorteil erwiesen, wenn die Verhältnisse zu Hause schrecklich waren, aus denen sie doch kamen. Das alles galt es zu berücksichtigen und trotzdem kann jeder Einzelne von uns recht behalten mit dem, wie er die Dinge betrachtet, denn Wahrheit ist universell. Es gibt nicht eine selig Machende. ;)


    Diese Erzieher_innen mochten gewesen sein, wie sie waren und obwohl ich als schwererziehbar hineinkam, weil die Bedingungen aus denen ich kam, auch nicht leicht waren, wie bei vielen von uns, machten sie "nur" ihren Job und ich stelle mir das heute vor, schwierige Kinder aus schwierigen Verhältnisse werden mir anvertraut und ich muss mit ihnen arbeiten. Wüßte ich, was richtig wäre? Nein. Ich wüßte so vieles und genau das wüßte ich nicht, nur dass man Liebe braucht, um mit Menschen zu arbeiten, sich auf sie einzustellen, um mit ihnen das Beste aus dem zu machen, was ihnen gut tut. Nur, Liebe, was ist das? Woher sollte welche kommen? Konnte man die kaufen?


    In dem Sinne verletze ich schon wieder meine neulich gut gemeinten Ratschläge durch Dritte, wie lass` alte Zeiten ruhen und tue etwas Sinnvolleres, denn auch Dein Leben ist endlich. Nutze es sinnvoller, als jene mit Texten zuzutexten, die sich doch nicht dafür interesieren, weil sie sie u. U. nicht verstehen und sich auch nicht der Mühe machten, die Zeiten und Beweggründe, weshalb jemand Ding wie diese postet, zu verstehen.


    Dir - an mich gerichtet - wird auch niemand nachtrauern, weil du Axel heißt oder was auch sonst getan hast. Es wird dir auch niemnd danken, weil sich niemand erinnern wird.


    Wie recht man damit hat, denn was ich die letzten Wochen noch einmal refelektieren musste nach dem Studium weiterer aufschlussreicher psycholog. Literatur - meine Selbstwahrnehmung, oder -überschätzung im Zusammenspiel mit Andereren war wohl eingetrübt, denn diese eine aufgelöste Frage in der endgültigen Beantwortung erklärt, wieso wir uns untereinander so schlecht verstehen und kaum finden (konnten).


    Sie beruht auch auf unserem früheren gegenseitigen Umgang in den Heimen untereinander. Wem z. Bsp. durch Seinesgleichen im Rahmen der unbeaufsichtigten Selbsterziehung Unrecht widerfahrten ist, gar Gewalt erfahren hat, wird jene kaum wiederfinden wollen.


    Was für eine Erkenntnis und was für eine einfache Antwort! Wieso kam man darauf nicht schon früher? Einsicht ist der Wille, es wissen zu wollen und kein Tag vergeht ohne Zugewinn. :)


    Danke für das Lesen und Entschuldigung für diesen Brief oder, wie man heute schreibt, Post. Es ist ja nicht ganz kurz...


    Grüße, Axel

    Es ist nicht das Ziel des Lebens, auf Seiten der Mehrheit zu stehen, sondern man muss versuchen, nicht im großen Heer der Verrückten zu landen. Mark Aurel

    Einmal editiert, zuletzt von Axel Li ()

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