Beiträge von lioncell

    Hm, ich denke die Gefahr der Retraumatisierung besteht ohne Zweifel und natürlich ist die Aufarbeitung immer langwierig und schmerzhaft und garantiert nicht umsonst zu haben, aber ich bin dankbar, dass ich es trotz dieses Kampfes und all der Risiken, die damit verbunden sind, geschafft habe mich dieser Vergangenheit zu stellen. Denn die Folgen sind immer present, ob ich das nun abtue oder nicht, und letztendlich ist es oft so, dass man vielleicht denkt man könnte es sich aussuchen, ob man sich dieser Wahrheit stellen will oder nicht und dann passiert etwas und man wird damit konfrontiert, ob man nun will oder nicht. Ohne die entsprechende Unterstützung geht das natürlich nicht. Daher wünsche ich allen, die sich bewusst ihrer Vergangenheit stellen viel Kraft und genau jene Unterstützung, die sie so dringend brauchen.
    Und klar, gute Absichten führen nicht zwangsläufig zu entsprechenden Resultaten und da könnte man an den entsprechenden Stellen sicherlich noch viel verbessern. Der unterschiedliche Umgang mit den Vorkommnissen an Eliteeinrichtungen und denen an Heimen ist sowieso ein Thema für sich, aber allgemein lässt die Öffentlichkeitsarbeit und Gesetzesgrundlagen in Deutschland eh einiges zu wünschen übrig, speziell was das Thema Missbrauch angeht, welches ja leider nur ein Aspekt von traumatisierenden Erlebnissen an Heimen und anderen Institutionen darstellt. Das ist dann ganz besonders schmerzhaft, wenn man sieht wie man z.B. in Australien mit dieser Thematik umgeht. Gegen einigen Widerstand hat dort hauptsächlich eine Frau, Joanne McCarthy, sich für die Einrichtung einer Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse eingesetzt hat und dank der ehemaligen Premierministerin Julia Gillard dann auch zur Realität wurde. Und was diese Royal Commission herausfindet, ist dann auch in der Öffentlichkeit present, d.h. Täter können sich dann auch unabhängig von rechtlicher Verfolgung nicht mehr hinter ihrem Recht auf Anonymität verstecken. Davon könnte man sich hierzulande einiges abschneiden. Wer jenseits der wirklich Interessierten bekommt denn hierzulande wirklich was von der Arbeit des Runden Tischs etc mit? Kaum jemand oder? Und wie gesagt, das ist ja nur ein Teil der Thematik.
    Dir, Volkmar, wünsche ich weiterhin viel Kraft und Mut im Umgang mit Deiner Vergangenheit und hoffe Du findest die Art des Umgangs damit, den Du brauchst, damit es Dir wieder besser geht.

    Mein Aufenthalt an dieser Einrichtung ist noch um einiges länger her und ich war nur etwa halb so alt, aber was ich dort erlebt habe ist noch sehr present in meinem Leben und der Aufenthalt dort gehört zu den schlimmsten Zeiten in meinem Leben.
    Beim Durchlesen der Details nickte ich wiederholt, da das schon sehr vertraut klang. Regel A an einem Tag, Regel L am nächsten und die zwangsläufige Folge davon keine Orientierung zu haben habe ich auch zur Genüge erlebt. Aber diese Herangehensweise war nicht einfach der Willkür der Heimleitung geschuldet, sie war so gewollt, Anthroposophie in Reinkultur. An Waldorfschulen wird das auch ganz gerne praktiziert, nur die Kinder haben, so schlimm dies auch für sie sein mag, wenigstens noch das Privileg nach der Schule diesem wieder zu entgehen, unsereiner hatte das nicht.
    Dass Mädchen prinzipiell schlechter behandelt wurden ist wohl für alle, die dort waren kein Geheimnis, das heißt aber nicht, dass alle Jungen Vorzugsbehandlung genossen. Es ist aber wohl kein Zufall, dass diejenigen, welche mitunter die Heimleitung in den höchsten Tönen lobten, bisher ausschließlich männlich waren, zumindest soweit ich sie mitbekam.
    Stricken musste ich auch schon und habe es wie fast alle Handarbeiten dank Mecki seither zeitlebens gehasst. Und auch das kalte Abduschen morgens kenne ich gut. Nach dem Mittagessen gab's bei uns dann noch die kurze Kneipprunde im oberen Bad (vor dem großen Umbau), gerne auch mit extra Schikanen.
    Auch über den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs an Schutzbefohlenen habe ich mich ebenso wenig gewundert. Zu meiner Zeit an diesem Heim war es tabu über Sexualität zu reden, eine Tatsache, die Übergriffe nicht verhinderte, sondern beförderte. Und zwar aus zweierlei Gründe: Erstens machte ein solchesTabu Kinder erpressbar. Zweitens erschwert das Tabu die Fähigkeit über das Erlebte zu sprechen. Beides nutzen die Täter aus. Und dazu fiel mir jetzt noch einiges ein, aber lassen wir das.
    Glücklicherweise hatte ich noch nicht meine Tage, daher blieben mir dann diese Erniedrigungen erspart, in gewisser Weise haben sie dann aber meine Pflegeeltern nach meiner Heimzeit nachgeholt, aber das ist ein anderes Thema. Aber Eurythmie blieb auch uns morgens nicht erspart. Prügel, Einsperren, alle möglichen Arten der Erniedrigung sind mir noch immer sehr gut in Erinnerung. Üblicherweise wusste man nicht, ob der Tag schlimmer war oder die Nacht.
    Wie schon richtig festgestellt keine Welt, um gesund aufzuwachsen.
    Ich habe auch immer wieder Menschen gesucht, die dort waren, bisher leier ohne Erfolg. Daher wäre es schön, wenn man sich evtl. noch ein bisschen detaillierter austauschen könnte.