Mein erstes Buch

Vor nunmehr fast vier Jahren zwischen Weihnachten und Silvester bekam ich eine Benachrichtigung für ein Einschreiben. Mit gemischten Gefühlen stand ich dann auch vor dem Schalter um eine gewisse Rückantwortkarte zu unterschreiben. Als ich dann den Absender präsentiert bekam, wär ich beinah in Ohnmacht gefallen. Ich las den Namen meiner Tochter. Seit ihrer Geburt vor damals 17 Jahren hatte ich keinen Kontakt zu ihr. Das Jugendamt hatte mich gebeten, erst mit ihr in Kontakt zu treten, wenn sicher wäre, dass sie mütterlicherseits von mir erfahren hätte. Wie besoffen schleppte ich mich nach Hause und dort erst öffnete ich den Umschlag. Was ich dann in den Händen hielt, war sehr ernüchternd. Es war eine kaum leserliche Bafög-antragskopie. Ihr beigefügter Notizzettel beinhaltete nur einen Satz, "würdest Du bitte diesen Antrag ausfüllen? Deine Tochter".
Trotzdem war nichts mehr so wie vorher. Allen Menschen, mit denen ich beruflich und privat zu tun hatte, und das sind eine ganze Menge, erzählte ich... "ich bin Vater geworden".
Natürlich schickte ich ihr umgehend diesen Antrag ausgefüllt zurück. Zusätzlich mit einem kurzen Brief und einem Foto von mir. Nach einigen Tagen bekam ich dann eine SMS von ihr. Es war allerdings zu spät, gleich darauf zu antworten. Ich musste wirklich einen ganzen Arbeitstag warten, um diese Nachricht in Ruhe zu beantworten. Das Schönste war, dass sie mir sofort ungefragt ein Foto von sich zusendete. Trotzdem blieb sie auf Abstand. Sie wusste noch nicht, wie sie mit diesem Kontakt zu mir umgehen sollte. Was ich auch voll verstand.
Ich beschloss, ihr noch einen Brief zu schreiben. Ausführlicher von mir berichten. Nur dass ich auf einmal nicht mehr aufhören konnte. Ich stand früh eine Stunde eher auf, um nach Feierabend bis zum Umfallen weiter zu schreiben. Als ich dann beschloss, daraus ein Buch werden zu lassen, war es längst schon eins. Ich schrieb alles über mich. Alle Verfehlungen, Höhen und Tiefen. Mein Liebesleben und natürlich die Umstände meines Verhaltens ihr gegenüber. Meine Schwester fragte mich einmal zwischendurch, wie viele Seiten ich denn schon fertig hätte. Ich antwortete 150. "Was, nur so wenig?" Darauf antwortete ich, dass ich erst 44 Jahre alt bin. Und wenn ich meiner Tochter einmal begegnen sollte, wollte ich auch noch etwas zu erzählen haben, was sie noch nicht weiß. Es sind dann letztendlich nur 162 Seiten geworden. Ein langes und auch wichtiges Kapitel beinhaltet natürlich die acht Jahre Kinderheim. Schließlich war ich dort von meinem zehnten Lebensjahr bis zur Volljährigkeit.
Mein Plan war, ihr das Buch ohne Voranmeldung direkt vom Verlag zukommen zu lassen. Und zwar zu ihrem 18. Geburtstag. Vorher ließ ich natürlich für meine Geschwister jeweils ein Exemplar drucken. Da sie ja auch darin vorkamen. Ich muss erwähnen, dass ich das Ganze nicht veröffentlicht habe. Da alle Namen und Orte original belassen wurden. Deswegen wurde mir aus rechtlicher Sicht davon abgeraten.
Alles hatte auch so geklappt, wie geplant. Ich wusste, dass meine Tochter das Buch pünktlich erhalten hatte. Erst war ich tierisch aufgeregt. Doch mit jedem Tag ohne Reaktion legte es sich etwas. Ich konnte es eh nicht mehr rückgängig machen. Einen Monat später bei einer Zusammenkunft mit meinen drei Geschwistern, sagte jemand, "wisst ihr was? Jetzt haben wir so ziemlich alles erreicht, was für uns eigentlich zum Leben dazu gehört. Jetzt könnten wir doch noch versuchen, unsere seit 35 Jahren verschollene Schwester wieder zu finden." Wiederum einen Monat später erhielt ich dann von unserem Bruder die Nachricht, dass er sie gefunden hätte. Und zwar mit Hilfe meines Buches.
Da war ich als Autor nicht eine Sekunde darauf gekommen, dass doch alles an Originalschauplätzen und mit tatsächlichen Namen beschrieben war. So konnte Brüderchen sogar Adresse und Mädchennamen unserer Schwester von 1973 beim Einwohnermeldeamt vorlegen. Wieder wurde es höchst emotional. Stundenlange Telefongespräche waren an der Tagesordnung. Ich wachte aus meinem Dornröschenschlaf auf und begann das Internet zu nutzen. Machte mich sichtbar. Vorher hatte ich mich echt nicht getraut.
Während dieser Zeit erhielt ich eine Anfrage vom Verlag. Meine Tochter hatte das Buch ungelesen als "Annahme verweigert" zurück geschickt. Was sollte damit nun geschehen. Völlig fertig schrieb ich ihr einen bitterbösen Brief. Sie hätte alles damit tun können. Nur nicht zurück schicken. Wir haben uns beide an Gemeinheiten nichts geschenkt. Um es vorweg zu nehmen. Der nächste Bafögantrag folgte irgendwann. Jetzt ist wieder alles "normal". Ich habe meine Tochter noch immer nicht getroffen. Wir telefonieren vielleicht einmal im Jahr. Ich weiß, wo sie wohnt. Doch ohne ihr Einverständnis würde ich nie vor ihr erscheinen.
Um auf meine "Neuschwester" zurück zu kommen. Kurz vor unserem ersten Treffen mit allen Geschwistern geht sie doch tatsächlich auf Abstand zu mir. Es ging soweit, dass ich einen Seelenklempner brauchte, um mit dieser Situation klar zu kommen. Es gab wirklich von meiner Seite keinen Anlass. Ich weiß nur eins. Es hat mit ihrer eigenen verkorksten Vergangenheit und dem Leben danach zu tun.
Mittlerweile bin ich emotional in ihre Richtung total abgestumpft. Es hat anfangs richtig weh getan.
Jetzt ist es so, dass ich weit über 100 Bücher drucken lassen hab. Alle persönlich verschickt bzw. verschicken lassen. Besonders an ehemalige Mitbewohner des Kinderheimes. Ich weiß, dass das Buch in ganz Deutschland von ganz verschiedenen Menschen gelesen wurde. Deren Meinungen gehen nicht soweit auseinander und sind grundsätzlich positiv. Na gut, eine negative war dabei. Ich würde nur versuchen, mich vor meiner Tochter zu rechtfertigen.
Auch wenn mein Plan letztendlich nicht aufgegangen ist. Mein Leben hat sich seither grundlegend verändert. Mein Selbstvertrauen ist gestärkt und das Gefühl, nicht alles im Leben falsch gemacht zu haben, ebenfalls.

Kommentare 3

  • Hallo Andreas,
    Du bist also sowas ähnliches wie John-Boy aus der berühmten Fernsehserie "Die Waltons". Hut ab, Du schreibst wunderbar.
    Das Verhalten Deiner Tochter, naja, 18 Jahre. Da denkt man noch sehr naiv oftmals. Sie ist nach so langer Zeit erstmals von ihrem Daddy kontaktiert worden. Gib ihr Zeit, vielleicht braucht sie Jahre, Jahrzehnte, aber ich denke, eines Tages wird sie sich melden. Sie wird älter und reifer und ihre Gedanken werden reifer. Weisst Du, was ich meine?
    Ich denk heut auch über ganz andere Dinge nach als vor vielleicht 20 Jahren oder so. Mein Leben ist mir viel wertvoller geworden, das war es zwar immer, aber ich denke sehr viel nach. Über die Vergangenheit, was ich alles falsch gemacht hab, was toll war in meinem Leben, ich denke über den Tot nach, ja das sind Dinge, die liess ich vor 20 Jahren nicht so in den Vordergrund treten.
    Dass Du noch sehr viele Bücher verkaufen wirst wünsche ich Dir. Und ich wünsche Dir von ganzem Herzen, dass eines Tages Deine Tochter vor Dir steht und Ihr Euch liebevoll in die Arme nehmen werdet.
    Liebe Grüsse von zicke

  • Hallo Angi,


    da war mein Psychiater damals anderer Meinung. "Herr Lesch, sie haben nur einen Fehler gemacht. Sie haben dieses Buch geschrieben". Dann war meine erste und einzige Sitzung vorbei. Das Buch kann über einen gewissen Link direkt bei 1 Buch. com bestellt werden. Dann müsste es allerdings 5 € teurer werden, da diese davon auf ein Konto von mir gehen, welche ich am Jahresende überwiesen bekomme. Jetzt kostet das Teil durch die Versandkosten aber schon 24,25 €. Ich glaube nicht, dass jemand knapp 30 € für ein so dünnes Buch hinblättert.
    Also hab ich es so gemacht, dass ich das Buch drucken lassen und bezahlt hab. Es jedoch gleich an den Empfänger senden ließ. Und dem Empfänger hab ich dann meine Bankverbindung mitgeteilt. In dem Vertrauen, das Geld auch zu bekommen. Was gottlob immer passiert ist. Leider verdiene ich recht wenig. Daher lässt sich ein Vorabdruck von mehreren Exemplaren nicht vorfinanzieren. Aber richtig zu veröffentlichen trau ich mich nicht. Erstens aus rechtlichen Gründen. Da es auch Personen gibt, welche nicht so gut wegkommen. Und Namen sowie Orte möchte ich nicht ändern, da es besonders für Heimkinder wichtig ist, eine Identifikation zu gewissen Ereignissen zu behalten. Unter dem Suchbegriff "Kinderheim Strehla" stößt Du bestimmt auf eine Leseprobe von mir. Und zweitens muss ich als unbekannter Schriftsteller soviel bezahlen, damit das Buch gedruckt wird, dass ich froh sein kann, wenn ich die Unkosten am Ende wieder drin hab. Aber ungeachtet dessen danke für Deine Meinung und ich freu mich, mal wieder von Dir zu lesen.


    LG Andreas

  • Hallo Andreas,


    ich habe deinen Bericht aufmerksam gelesen. Du hast es sehr gut gemacht, das du ein Buch verfasst hast. An den Reaktionen der Leute siehst du doch, das es richtig war. Deine Tochter kann mit dieser Situation nicht umgehen. Es wird aber eine Zeit kommen, wo sie neugierig wird. Sie braucht eben auch ihre Zeit. Ich wünsche Dir alles Gute und hoffe, das du mit deinem Buch einiges verarbeiten konntest. Kann man das Buch von dir jetzt öffentlich kaufen??? Liebe Grüße Angi