Auch so konnte es im Spezialkinderheim sein

  • Die großen Ferien beendeten das Schuljahr 1957. Nur wenige
    Kinder verbrachten die Sommerferien im Heim. Zurück blieben eigentlich nur die
    Vollwaisen und einige Kinder, denen seitens des Jugendamtes jeglicher Kontakt
    zu Eltern oder Pflegeeltern versagt blieb. Ich gehörte, um mich zu
    disziplinieren, zu letzterer Gruppe.
    Als, mit 14 Jahren, einer der ältesten im Heim verbliebenen Kinder wurde ich
    dazu auserkoren bei den Vorbereitungen zum Zeltlager zu helfen. Es war eigentlich
    das erste Zeltlager, an welchem ich teilnehmen durfte. In der zweiten Ferienwoche
    war es dann schließlich so weit. Nachdem alles auf einem Lkw verladen war kam
    schließlich auch der Bus, der uns zum Lager bringen würde. Nach etwa 3 Stunden
    Fahrzeit erreichten wir in der Nähe von Heyerode das kleine Tal, welches von
    einem munteren Bächlein durchflossen wurde. Neben einem bäuerlichen Anwesen, früher sicher mal eine
    Mühle, öffnete sich das Tal und bot somit ausreichend Platz mehrere Zelte
    aufzuschlagen. 14 Tage lang boten sie uns Schlafgelegenheit und Aufenthalt.
    Gekocht wurde an einer offenen Feuerstelle, die am Abend als Lagerfeuer diente.
    Für die meisten von uns waren diese Tage abenteuerlich und aufregend. Erinnerte
    das Lager doch mit morgendlichem und abendlichem Fahnenappell, dem kollektiven
    Gesang und den Tagesmärschen, den Schnitzeljagden und Spielen stark an die Sommerlager der christlichen
    Pfadfinder. Lediglich die obligatorische Politstunde am Nachmittag gab dem
    Ganzen den Anstrich eines Pionierlagers. Manchmal, da Erntezeit war, mussten
    wir älteren Kinder dem Bauern beim Aufstellen der Garben oder auch beim
    Heumachen helfen. Wenn einer von uns das langsame Kuhgespann lenken durfte, einen
    Traktor gab es nicht auf dem Hof, wähnte er sich auf einer Farm im „wilden
    Westen“, ließ die Peitsche knallen und rief laut „Yippiyee“. Eigentlich war
    diese Hilfe bei der Feldarbeit eine richtige Gaudi für alle. All dies war nur
    möglich, weil es zu dieser Zeit und in dieser Region noch keine Genossenschaft
    gab. Die Hilfe hatte aber noch einen zweiten, wesentlich attraktiveren Aspekt.
    Gab es doch neben der kargen und eintönigen Heimverpflegung reichlich Brot und Wurst, Schinken oder Speck
    sowie Limonade während der Pausen. Im Großen und Ganzen waren die Tage des
    Zeltlagers eine herrliche Sache und man gewann schnell Abstand vom Heimleben.
    Aber auch eine gute Zeit geht einmal zu Ende und das Leben im Heim holte uns
    schon bald wieder ein.

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