Malaria-Versuche an Wiener Heimkind

  • Schwere Vorwürfe
    Malaria-Versuche an Wiener Heimkind
    06. Februar 2012 18:31
    An der Wiener Uni-Klinik für Psychiatrie sollen in den 1960er-Jahren Versuche mit Malariaerregern durchgeführt worden sein, berichtet ein Betroffener. Die Klinikleitung zeigt sich bestürzt; die Akten aus der Zeit gelten als verloren


    Wien - Wilhelm J., einst Heimkind in Wien, bringt schwere Vorwürfe gegen die Uni-Klinik für Psychiatrie vor: 1964 sei er dort bewusst mit dem Malaria-Erreger infiziert worden, berichtete der heute 63-Jährige im Ö1-Morgenjournal. Damals wurde bei dem Jugendlichen eine "Psychopathie" diagnostiziert, er befand sich nachweislich einen Monat lang zur Behandlung in der Uni-Klinik.


    Einem Erkrankten sei Blut abgenommen worden und ihm in den Muskel gespritzt worden. Andernfalls würde er auf die geschlossene Abteilung in ein Gitterbett kommen, habe man ihm gedroht. "Eine Ärztin hat mir gesagt, das ist eine Malaria-Kur, wir machen da Versuche", sagte J. auf Ö1. Die Folgen: mehrere Wochen bis zu 42 Grad Fieber, die Fieberschübe und Schweißausbrüche dauern bis heute an.


    Verbrechen


    Tatsächlich wurde seit dem Ersten Weltkrieg mit Malaria-Erregern experimentiert, 1927 erhielt der Österreicher Julius Wagner-Jauregg für das Therapieverfahren den Nobelpreis für Medizin. Wagner-Jauregg entwickelte die Malaria-Therapie zur erfolgreichen Behandlung von Syphilis im Endstadium. Bis in die 1960er-Jahre wurde die Methode weiterhin praktiziert und auf andere Erkrankungen angewandt. Erst in dieser Zeit kamen erstmals Psychopharmaka zum Einsatz.


    Die bewusste Malaria-Infektion von Heimkindern sei ein Verbrechen, sagt Siegfried Kasper von der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie. "Wir haben sofort reagiert und ein Krisenteam eingerichtet, falls sich weitere Betroffene bei uns melden." Die Malaria-Therapie sei Mitte der 1960er-Jahre, also zu dem Zeitpunkt, als J. infiziert worden sein soll, bereits nicht mehr "Stand der Wissenschaft" gewesen, meint Kasper. Sein Vorgänger Bernd Küfferle soll sich jedenfalls laut Medienberichten noch an derartige Therapien in Wien erinnern können. Der Akt selbst gilt als verloren, lediglich aus der "heiklen Nazi-Zeit" seien relativ vollständige Aufzeichnungen an der Klinik vorhanden.


    Finanzielle Entschädigung


    J. hat sich an die Opferschutzorganisation Weißer Ring gewandt, um finanzielle Entschädigung einzufordern. Weil seine "Heimkarriere" lückenlos dokumentiert ist, sei die Institution die richtige Stelle, meint Geschäftsführerin Marianne Gammer im STANDARD-Gespräch. Medizinische Behandlung als Erziehungsmaßnahme von Heimkindern sei eine große Seltenheit: Es gebe vielleicht ein bis zwei Fälle, in denen Beschwerden eingereicht wurden, allerdings keine im Zusammenhang mit einer Malaria-Therapie. "Meist wurden Krankheiten in Heimen nicht sofort behandelt oder kein Arzt hinzugezogen", schildert Gammer die Fälle.


    Was neben der Malaria-Therapie ebenso zur Behandlung bei psychischen Erkrankungen kam, war der Einsatz von "Elektrokrampftherapie". "Selbstverständlich auch bei uns", sagt Kasper. Auch heute noch sei das eine wirksame Methode gegen Depressionen und Schizophrenie.


    In jüngster Zeit wurde Malaria-Therapie - trotz heftiger Nebenwirkungen und dokumentierter Langzeitschäden - zur Behandlung von Borreliose und HIV vorgeschlagen. 2003 veröffentlichte ein Forscherteam im chinesischen Guangzhou Ergebnisse einer Pilotstudie. Wegen Verstoßes gegen die Regeln für medizinische Versuche wird gegen beteiligte US-Forscher ermittelt.


    J. soll später keinerlei psychiatrische Behandlung mehr gebraucht haben. Die Fieberschübe begleiteten ihn jedoch ein Leben lang. (Julia Herrnböck, DER STANDARD-Printausgabe, 7.2.2012)


    Nachlese (+ Postings):


    Heimkinder in Wien sollen absichtlich mit Malaria infiziert worden sein


    Link:


    derStandard.at/Gesundheit: Malariatherapie-Nachweis nach Jahren nicht mehr möglich



    Foto: dpa/Kay Nietfeld


    Die Injektion von Plasmodien zur Übertragung einer Malaria-Infektion galt einige Zeit als Methode gegen psychische Erkrankungen. An Heimkindern soll sie unter Zwang getestet worden sein.


    Quelle : der Standard. at

    Einmal editiert, zuletzt von jw1hal ()

  • Malaria-Opfer lässt Klage prüfen
    Opfer-Anwalt Öhlböck will die Malaria-Versuche an einem ehemaligen Heimkind vor Gericht bringen.


    Letztes Update am 07.02.2012, 15:34
    Das ehemalige Heimkind Wilhelm J. erhob am Montag schwere Vorwürfe gegen die Wiener Uni-Klinik. Der heute 63-Jährige soll 1964 von Ärzten der Klinik mit Malaria infiziert worden sein. Unklar ist noch, ob zur Behandlung der von einem Psychologen diagnostizierten „Psychopathie“, oder zur Züchtung der Krankheitserreger.


    Wilhelm J. hat sich an den Wiener Anwalt Johannes Öhlböck gewandt, der bereits mehrere ehemalige Heimkinder rechtlich vertritt. „Der wichtigste Punkt ist, alle Akten herbeizuschaffen“, sagt Öhlböck. Der Jurist will Heim- und Krankenakten, so vorhanden, sichten. „Dann stellt sich die Frage der Verantwortung“, erklärt der Anwalt. Für ihn kommen entweder die Stadt Wien als Trägerin des Spitals oder die Republik Österreich als übergeordnete Stelle der Universitätsklinik infrage. „Und dann gilt es, Ansprüche geltend zu machen.“


    Problematisch könnte die Frage der Verjährung werden. „Das ist dasselbe Problem wie bei anderen Spielarten, wie man mit Heimkindern umgegangen ist“, sagt Öhlböck. „Egal ob es sich um psychische oder physische Gewalt oder um Missbrauch gehandelt hat.“ So etwa dürfe nicht verjähren, meint der Anwalt.


    Der Leiter der sozialpsychiatrischen Abteilung der Uni-Klinik, Johannes Wancata, will nun Ärzte, die in den 1960er-Jahren an der Uni-Klinik gearbeitet haben, hinzuziehen. „Diese Kollegen sind schon vor 10 oder 15 Jahren in Pension gegangen. Es wird also einige Zeit dauern, bis wir sie gefunden haben“, sagt Wancata. Er geht von etwa zwei bis fünf Wochen aus.
    Krisenteam


    „Wir haben ein Krisenteam eingerichtet“, sagt Dr. Siegfried Kasper, Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Er hofft, dass sich Betroffene in der Klinik


    melden, um sich untersuchen zu lassen. „Ich werde mich als Klinikvorstand persönlich um die Menschen kümmern“, sagt Kasper. Er stehe auch für telefonische Anfragen zur Verfügung: 01/40400-3568 .


    Bei Wilhelm J. hat sich von der Wiener Uni-Klinik bis dato niemand gemeldet. Schon am Montag hat der 63-Jährige angegeben, noch heute an den Folgen dieser Malaria-Therapie zu leiden. „Ich habe oft völlig unangekündigte Fieberschübe und Schweißausbrüche. Nach 24 Stunden sind sie dann einfach wieder vorbei“, schildert J. Tropenmediziner bezweifeln allerdings, dass Folgen von Malaria auch noch Jahrzehnte nach der Infizierung auftreten können.


    Wilhelm J. hofft in der Zwischenzeit, dass durch seinen Gang in die Öffentlichkeit mehrere junge Menschen, mit denen er damals auf der Station gelegen ist, den Mut fassen, sich zu melden. „Das ist mein größter Wunsch.“


    Ob der 63-Jährige eine Entschädigung von der Opferschutzorganisation Weisser Ring erhält, ist noch unklar.


    Quelle : Kurier

  • Malariatherapie: Kommission nimmt Arbeit auf


    Der Historiker Gernot Heiss wird jene Expertenkommission leiten, die die Vorgänge an der Medizinischen Fakultät nach 1945 aufklären soll. Es geht dabei auch um die Vorwürfe, dass Heimkinder bewusst mit Malaria infiziert worden seien.


    „Als ersten Schritt überprüfen wir bis Ende Mai dieses Jahres die verfügbaren Quellen, wobei wir uns bei den Untersuchungen vorerst auf die Zeit der 1950er und 60er Jahre konzentrieren. Wir wissen derzeit ja noch nicht, welche Quellen uns überhaupt noch in welcher Form zur Verfügung stehen“, sagte Heiss, der von MedUni Wien-Rektor Wolfgang Schütz vorgestellt wurde. „Nach einem Jahr soll ein Zwischenbericht und in zwei Jahren der Endbericht vorliegen.“
    Mit Heiss sind der Zeitgeschichtler Oliver Rathkolb, der an der Universität Wien lehrende US-Historiker Mitchell Ash, Margarete Grandner und Gabriella Hauch im Team. Sie werden von externen Experten und einem Beirat der MedUni Wien unterstützt. Als externe Experten wurden der Wiener Patientenanwalt Konrad Brustbauer, der Medizinrechtler Christian Kopetzki und die Psychiaterin Elisabeth Brainin gewonnen. Für die MedUni sitzen die vier Psychiatrie-Professoren Siegfried Kasper, Max Friedrich, Johannes Wancata und Stephan Doering sowie Michael Hubenstorf vom Institut für Geschichte der Medizin im Beirat.
    Zeitraum von 1945 bis 1978 wird untersucht


    Vor allem die Situation der psychisch Kranken an der damaligen „Klinik Hoff“ soll ausgehend von der sogenannten „Malariatherapie“ durchleuchtet werden. Hauptfrage ist, ob Behandlungen durchgeführt wurden, die methodisch und ethisch nicht dem damaligen Stand der Wissenschaft entsprachen.


    Die unabhängige Expertenkommission wird „den Zeitraum von 1945 bis 1978, dem Gründungsjahr der Ethik-Kommission an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien, untersuchen“, erklärte die Vizerektorin der MedUni Wien, Christiane Druml.


    Stellen sich die Vorwürfe der Betroffenen als richtig heraus, soll mit dem Weißen Ring die Frage der Entschädigung geklärt werden. Den Opfern steht bereits jetzt ein Krisenteam zur Verfügung.
    Jahrelange Fieberschübe


    An Wiener Heimkindern sollen in den 1960er Jahren zweifelhafte Therapien und medizinische Versuche mit Malaria-Erregern durchgeführt worden sein. Er sei mit Malaria infiziert worden, von jemand anderem sei Blut abgenommen und ihm in den Muskel eingespritzt worden, hatte ein ehemaliges Heimkind angegeben. Die Ärztin habe ihm offen gesagt, dass da Versuche gemacht werden. 42 Grad Fieber über zwei Wochen hinweg und dann noch jahrzehntelang Fieberschübe seien die Folgen gewesen.


    In der Affäre um die Verabreichung von „Malaria-Therapien“ gegen psychiatrische Erkrankungen in den 1960er Jahren an der Wiener Klinik Hoff meldeten sich zuletzt immer mehr Betroffene - mehr dazu in Malaria-Tests: Immer mehr Betroffene.
    Zur Behandlung von Syphilis


    Für die Malaria-Therapie zur Behandlung von Syphilis hatte Julius Wagner-Jauregg 1927 zwar den Nobelpreis bekommen, später wurde sie auch für andere psychiatrische Erkrankungen angewandt, aber 1964 war all das längst nicht mehr Stand der Wissenschaft. Das bestätigte der Zeitzeuge und Psychiater Bernd Küfferle, der ab 1965 an der Unipsychiatrie gearbeitet hatte. Dennoch seien dort kurz davor tatsächlich noch Patienten mit Malaria infiziert und mit „Fieberkuren“ behandelt worden. Laut Küfferle wollte die Klinik den Malaria-Erreger in Patienten am Leben erhalten, um ihn für die Behandlung von Syphilis verfügbar zu haben.


    Der aktuelle Unipsychiatrie-Chef Johannes Wancata meinte, er könne sich die Vorgangsweise seiner Vorgänger nicht erklären und bedaure und verurteile sie, wenn es nur um die Erhaltung des Malaria-Erregerstammes gegangen sein sollte.


    „Wir haben in den 1970er-Jahren noch immer Methoden gehabt, für die ich mich geschämt habe, aber ich konnte nicht aus“, sagte der Wiener Kinder- und Jugendpsychiater Max Friedrich, der als junger Arzt die nun angeprangerten Behandlungsmethoden miterlebt hat - mehr dazu in Malariatherapie: Arzt „schämt“ sich (wien.ORF.at; 7.3.12).


    Quelle:wien ORF.at

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